Warst du schon mal bei einem Meeting, wo ein Kollege nach nur zwei Jahren eine Beförderung bekommen hat, während du seit fünf Jahren auf derselben Stelle sitzt? Oder hast du dich gefragt, warum manche Leute scheinbar mühelos Karriere machen, obwohl sie nicht klüger oder fleißiger sind als du? Die Antwort könnte dich überraschen: Oft sind es nicht die offensichtlichen Schwächen, die uns zurückhalten, sondern zwei Eigenschaften, die wir für unsere größten Stärken halten.
Die heimlichen Karrierekiller: Wenn deine besten Eigenschaften dir schaden
Du arbeitest jeden Tag hart, gibst immer dein Bestes und versuchst, es allen recht zu machen. Klingt nach dem perfekten Arbeitnehmer, oder? Falsch gedacht. Die Arbeitspsychologie hat ein faszinierendes Phänomen entdeckt: Viele Menschen sabotieren ihre Karriere mit Verhaltensweisen, die sie selbst für absolut vorbildlich halten. Dieses Phänomen nennt sich „Self-Handicapping“ – auf Deutsch etwa „Selbstsabotage“ – und läuft meist völlig unbewusst ab.
Tomas Chamorro-Premuzic, ein renommierter Wirtschaftspsychologe, beschreibt in seinem Buch „Why Do So Many Incompetent Men Become Leaders?“ genau diese Problematik. Seine Forschung zeigt: Menschen, die bestimmte scheinbar positive Eigenschaften übertreiben, bleiben häufiger in den unteren Hierarchieebenen stecken, während weniger „tugendhafte“ Kollegen an ihnen vorbeiziehen.
Das Tückische daran: Diese karriereschädigenden Muster entstehen oft schon in der Kindheit und werden über Jahre hinweg verstärkt, weil sie zunächst belohnt werden. Ein perfektes Kind bekommt Lob, ein harmonisches Kind gilt als lieb – aber diese Strategien funktionieren im Berufsleben nach anderen Regeln.
Eigenschaft Nummer 1: Der Perfektionismus-Fluch
Perfektionismus ist der Liebling unserer Leistungsgesellschaft. In Bewerbungsgesprächen nennen Menschen gerne „Ich bin zu perfektionistisch“ als ihre größte Schwäche – in der Hoffnung, damit eigentlich eine Stärke zu verkaufen. Doch die Wissenschaft sagt etwas anderes: Übertriebener Perfektionismus ist ein echter Karrierekiller.
Sarah Egan und ihr Forschungsteam haben in „The Psychology of Perfectionism“ über Jahre hinweg untersucht, wie sich perfektionistische Tendenzen auf das Berufsleben auswirken. Das Ergebnis ist ernüchternd: Perfektionisten haben systematisch schlechtere Karriereaussichten, und das aus drei Hauptgründen.
Erstens die Entscheidungslähmung. Perfektionisten wollen alle Informationen haben, bevor sie eine Entscheidung treffen. Während weniger pedantische Kollegen bereits handeln und erste Erfolge verbuchen, stecken sie noch in der Analysephase fest. In der heutigen schnelllebigen Arbeitswelt ist das ein massiver Nachteil. Wer zu lange zögert, verpasst Chancen.
Zweitens die Prokrastination durch Angst. Das klingt paradox, ist aber wissenschaftlich belegt: Gerade die Menschen, die alles perfekt machen wollen, schieben wichtige Aufgaben auf. Tim Pychyl von der Carleton University hat gezeigt, dass Perfektionisten deutlich häufiger unter chronischer Prokrastination leiden. Der Grund: Die Angst, nicht gut genug zu sein, blockiert sie komplett.
Drittens das erhöhte Burnout-Risiko. Eine Meta-Analyse von Hill und Curran aus dem Jahr 2016 belegte eindeutig: Perfektionisten haben ein erhöhtes Risiko für Burnout und Erschöpfung. Sie arbeiten oft länger und härter, aber nicht unbedingt effektiver. Das führt zu einem Teufelskreis aus Überforderung und sinkender Leistung.
Warum Perfektionismus so verführerisch ist
Das Heimtückische am Perfektionismus ist seine gesellschaftliche Anerkennung. Unsere Kultur feiert die Detailversessenheit, die akribische Vorbereitung, das stundenlange Feilen an einem Projekt. Perfektionisten bekommen oft Lob für ihre „Gründlichkeit“ – ohne dass jemand bemerkt, wie viel Zeit und Energie dabei verschwendet wird.
Daniel Goleman, der Pionier der emotionalen Intelligenz, erklärt das Problem so: Perfektionisten sind oft so sehr mit sich selbst und ihren eigenen Standards beschäftigt, dass sie das große Ganze aus den Augen verlieren. Sie optimieren Details, während um sie herum die wichtigen strategischen Entscheidungen fallen.
Eigenschaft Nummer 2: Die People-Pleasing-Falle
Die zweite karriereschädigende Eigenschaft ist noch subtiler und wird noch seltener erkannt: das übermäßige Harmoniestreben, auch bekannt als „People Pleasing“. Menschen mit dieser Tendenz gelten als teamfähig, kooperativ und sympathisch. Sie sind die Lieblinge ihrer Vorgesetzten – zumindest solange es um die alltägliche Zusammenarbeit geht. Wenn es aber um Beförderungen und Führungspositionen geht, werden sie regelmäßig übersehen.
Adam Grant von der Wharton School und Francesca Gino von der Harvard Business School haben in mehreren Studien untersucht, was sie den „Geber-Nachteil“ nennen. Menschen, die es allen recht machen wollen, haben langfristig schlechtere Karriereaussichten als ihre weniger angepassten Kollegen. Das liegt nicht daran, dass Kooperation schlecht wäre – sondern daran, dass extreme People Pleaser bestimmte Fallen nicht umgehen können.
Die drei versteckten Nachteile des Harmoniestrebens
Problem eins: Unsichtbarkeit. Wer nie aneckt, fällt auch selten positiv auf. People Pleaser bringen seltener eigene Ideen ein, widersprechen nicht konstruktiv und übernehmen ungern die Führung in schwierigen Situationen. In einer Arbeitswelt, die Innovation und Eigeninitiative belohnt, ist das ein enormer Nachteil. Sie werden als „nett“ wahrgenommen, aber nicht als „führungsstark“.
Problem zwei: Systematische Ausbeutung. Harmoniesüchtige Menschen werden schnell zu den Arbeitstieren ihrer Abteilungen. Sie sagen selten nein, übernehmen die unbeliebten Aufgaben und opfern ihre eigenen Projekte für das vermeintliche Gemeinwohl. Das wird zwar geschätzt, führt aber nicht zu Beförderungen – sondern zu noch mehr ungeliebten Aufgaben.
Problem drei: Mangelnde Authentizität. Wer ständig versucht, es allen recht zu machen, verliert oft den Kontakt zu den eigenen Werten und Zielen. Diese mangelnde Authentizität spüren andere unbewusst. People Pleaser wirken zwar nett, aber oft auch unentschlossen oder unsicher – keine idealen Eigenschaften für Führungskräfte.
Die Wissenschaft hinter dem Muster
Warum sind diese beiden Eigenschaften so hartnäckig und weit verbreitet? Die Antwort liegt in der Entwicklungspsychologie. Beide Muster – Perfektionismus und People Pleasing – entstehen meist in der Kindheit als erfolgreiche Überlebensstrategien. Kinder lernen schnell, dass sie durch perfekte Leistungen oder durch das Gefallen anderer Anerkennung und Sicherheit erhalten.
Carol Dweck von der Stanford University hat in ihrer Forschung zur „Growth Mindset“ gezeigt, wie tief verwurzelt diese Denkmuster sind. Was in der Schule funktioniert – brav sein, alles richtig machen, Konflikte vermeiden – kann im Berufsleben zum Hindernis werden. Dort sind Risikobereitschaft, Eigeninitiative und die Fähigkeit zu konstruktiven Konflikten gefragt.
Besonders kritisch sind die ersten fünf bis zehn Jahre im Berufsleben. In dieser Zeit prägen sich die beruflichen Verhaltensmuster aus, die oft ein ganzes Arbeitsleben bestimmen. Wer in dieser Phase lernt, dass Perfektionismus und Harmoniestreben belohnt werden, verstärkt diese Verhaltensweisen – ohne zu merken, dass sie langfristig hinderlich sind.
Der Preis des falschen Erfolgs
Eine Langzeitstudie von Judge und Kammeyer-Mueller verfolgte über mehrere Jahrzehnte die Karriereverläufe von Berufstätigen. Das Ergebnis war eindeutig: Menschen, die in den ersten Berufsjahren stark perfectionistische oder übermäßig angepasste Tendenzen zeigten, erreichten seltener Führungspositionen und berichteten häufiger von beruflicher Unzufriedenheit.
Das bedeutet nicht, dass Gründlichkeit oder Teamfähigkeit schlecht wären. Das Problem liegt in der Übertreibung. Die erfolgreichsten Menschen sind oft die, die den goldenen Mittelweg finden: sorgfältig genug, um gute Arbeit zu leisten, aber nicht so perfektionistisch, dass sie handlungsunfähig werden. Kooperativ genug, um gut im Team zu funktionieren, aber authentisch und selbstbewusst genug, um für ihre eigenen Überzeugungen einzustehen.
So erkennst du diese Muster bei dir selbst
Die Selbsterkennung ist der erste und wichtigste Schritt zur Veränderung. Hier sind die wichtigsten Warnsignale, die auf diese karriereschädigenden Muster hindeuten:
- Du verschiebst wichtige Entscheidungen immer wieder, weil du noch „nicht genug weißt“
- Du arbeitest oft länger als nötig an Projekten, die eigentlich schon fertig sind
- Du sagst selten nein, auch wenn dein Arbeitspensum bereits übervoll ist
- Du vermeidest es, deine eigenen Erfolge zu kommunizieren oder dich selbst zu vermarkten
- Du fühlst dich unwohl dabei, andere zu kritisieren oder unbequeme Wahrheiten auszusprechen
Wenn du dich in mehreren dieser Punkte wiederfindest, ist das kein Grund zur Panik – aber ein guter Anlass zur Selbstreflexion. Diese Muster lassen sich ändern, wenn man sie erst einmal erkannt hat.
Der Weg aus der Falle: Strategien für den Wandel
Die gute Nachricht: Diese Muster sind nicht in Stein gemeißelt. Die Neurowissenschaft zeigt uns, dass unser Gehirn auch im Erwachsenenalter noch erstaunlich formbar ist – ein Phänomen, das als Neuroplastizität bekannt ist. Mit den richtigen Strategien und etwas Geduld lassen sich auch tief verwurzelte Verhaltensmuster ändern.
Strategien gegen den Perfektionismus
Die 80-Prozent-Regel anwenden. Psychologen empfehlen, bewusst „nur“ 80 Prozent Perfektion anzustreben. In den meisten Fällen reicht das völlig aus und spart enorm viel Zeit und Energie für wichtigere Aufgaben. Das fühlt sich anfangs schrecklich an, aber die Ergebnisse sprechen für sich.
Deadlines als harte Grenzen setzen. Gib dir bewusst knappere Zeitlimits und halte sie ein, auch wenn das Ergebnis nicht hundertprozentig perfekt ist. Das trainiert die Fähigkeit, unter Zeitdruck gute Entscheidungen zu treffen – eine Schlüsselkompetenz in Führungspositionen.
Strategien gegen das People Pleasing
Nein-Sagen systematisch üben. Beginne mit kleinen, ungefährlichen Situationen und lerne, höflich aber bestimmt abzulehnen. Das ist eine Fähigkeit, die trainiert werden muss – wie Klavierspielen oder Joggen. Je öfter du es machst, desto natürlicher wird es.
Eigene Erfolge bewusst kommunizieren. Führe ein „Erfolgstagebuch“ und teile deine Errungenschaften regelmäßig mit Vorgesetzten und Kollegen. Das fühlt sich anfangs wie Angeberei an, ist aber entscheidend für die berufliche Sichtbarkeit. Niemand kann deine Leistungen würdigen, wenn sie sie nicht kennen.
Die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts belohnt andere Eigenschaften als noch vor 20 Jahren. Flexibilität, Entscheidungsfreude und Authentizität sind gefragter denn je. Unternehmen suchen Menschen, die Initiative ergreifen, Verantwortung übernehmen und auch mal unbequeme Entscheidungen treffen können.
Die Erkenntnis, dass unsere vermeintlichen Stärken manchmal unsere größten Schwächen sein können, ist zunächst schmerzhaft. Aber sie bietet auch eine riesige Chance: Wer diese Muster durchbricht, kann plötzlich berufliche Sprünge machen, die vorher unmöglich schienen. Es ist wie das Entfernen unsichtbarer Fesseln – plötzlich wird vieles möglich, was vorher blockiert war. Der erste Schritt ist immer die ehrliche Selbstreflexion.
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